
Angst und Steuerung – oder der Ruf nach biografischer Selbstverantwortung
Ja, Angst wirkt. Sie verengt das Wahrnehmungsfeld, aktiviert Notprogramme, schränkt die Beziehungsfähigkeit ein – und dies in einem Ausmaß, das gerade bei Kindern erschreckend sichtbar wird: Erstarrung, Rückzug, Schlafstörungen, aber auch aggressive Entladung können Folgen sein. Wer mit traumapädagogischer oder körperorientierter Erfahrung auf die gesellschaftlichen Prozesse der letzten Jahre blickt, erkennt viele dieser Reaktionsmuster nicht nur im individuellen, sondern auch im kollektiven Verhalten wieder.
Doch Angst ist nicht nur ein Steuerungsinstrument „von oben“. Sie ist ebenso das Resultat fehlender Selbstanbindung – und hier beginnt unsere eigene Verantwortung. Es reicht nicht, die Mechanismen von Politik und Medien zu kritisieren. Wir sollten uns ebenso fragen: Was macht uns so anfällig dafür? Warum klammern wir uns an Klarheiten, die auf Angst statt auf Wahrheit beruhen?
Wer biografisch denkt, erkennt: Der Mensch ist kein reines Reiz-Reaktions-Wesen. Seine Geschichte ist keine Kausalkette, sondern eine Zeitgestalt. In ihr wirkt das Ich nicht nur als Getriebener, sondern – in reiferen Momenten – als Autor der eigenen Lebensgeschichte. In einer Gesellschaft, in der die biografische Dimension zunehmend vernachlässigt wird, wächst der Raum für Projektion, für Zuschreibung, für kollektive Emotion ohne Verankerung. Die Folge: Wir verlieren die Fähigkeit, Widerspruch zu ertragen – nicht nur politisch, sondern auch innerlich.
Die Alternative zu Angst ist nicht Naivität. Es ist der Mut zur Eigenverantwortung, zur Unterscheidung, zur biografischen Arbeit an sich selbst. Denn Angst lässt sich nicht einfach „wegdenken“ – sie will gehört, verstanden, transformiert werden. Erst dann wird sie zur Ressource: zur Wachsamkeit, zur Sensibilität, zur Kraft, dort zu handeln, wo wir wirklich betroffen sind – und nicht nur medial aktiviert.
Vielleicht ist das der leise Gegenentwurf zum Dauer-Alarmzustand: ein Mensch, der sich seiner eigenen Geschichte bewusst wird. Der weiß, dass Wahrheit nicht immer bequem ist – aber dass sie in ihm selbst beginnt. Nicht im Echo der Schlagzeilen.
(Nach einem LinkedIn Beitrag von : André SchmittAngst als Waffe – Wie Politik und Medien unsere Wahrnehmung steuern)
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